Chile 8

Von Region Atacama bis Region Antofagasta

 

Vom 1. bis 20. Juni 2016

 

Fortsetzung von Bericht Chile 7

 

 

Die Fotos zu diesem Bericht befinden sich am Ende des Textes.

 

Von der Panmericana könnten wir zu einem der besten Observatorien Chiles, dem Cerro da Silla weiterfahren. Aber der Himmel hängt immer noch voller grauer Wolken, eine Fahrt dorthin ist zwecklos. Im fruchtbaren Tal des Rio Huasco mit ausgedehnten Oliven- und Obstplantagen sowie Weinfeldern fahren wir ans Meer zum gleichnamigen Ort. Die ärmlichen Blechhütten mit dem Müll ringsherum erinnern uns an Bolivien. Ebenso die Gehöfte mit Bretterbuden und Ziegenhaltung. Endlich blauer Himmel und Sonnenschein! Durch enge Straßen erreichen wir an der Felsküste aus dunklem Vulkangestein den kleinen Park San Francisco, den der vielseitige Steinmetzger und Holzschnitzer Luis nett angelegt hat. Vom Park blicken wir zum Industriehafen, an dem die Güterzüge aus dem Landesinneren ankommen und von dem die Bodenschätze in alle Welt exportiert werden. Große Schiffe liegen im Hafen und ankern in Warteposition vor der Küste. Auch ein Kohlekraftwerk befindet sich hier am Meer und stößt dicke Wolken aus den Schornsteinen.

 

Über die Ruta del Desierto finden wir schöne Stellplätze an der Felsküste des Pazifiks. Einige Männer suchen Muscheln und öfter sehen wir auch Leute, die Seetang ans Land ziehen. Nachdem es getrocknet ist, transportieren sie es ab, um es zu verkaufen. Auf der Weiterfahrt kommt uns ein Mann entgegengelaufen. Er verkauft uns frisch zubereitete Teigrollen mit Muscheln. Riecht und schmeckt gut, regt aber bei uns auch in den nächsten Tagen unsere Darmtätigkeit an. An der Pazifikküste stellen wir unseren Vagabundo ab. Wir spazieren ganz allein am goldgelben Sandstrand entlang, an den bis zu drei Meter hohe Wellen schlagen. Kurz darauf erleben wir einen tollen orange leuchtenden Sonnenuntergang, mit Fünf-Sterne-Blick aus unserem Wohnmobilfenster. Noch lange nachdem die Sonne am Horizont verschwunden ist, strahlt sie die Wolkenformationen über dem Meer in Orange und Gold an. Eigentlich dürften wir ja gar nicht ruhig schlafen können, denn hier direkt am Meer könnte uns ein Tsunami überspülen. Keiner würde uns an diesem abgelegenen Strand davor warnen. Aber so viele Chilenen haben ihre einfachen Hütten ja ebenfalls an der von Tsunamis gefährdeten Uferzone.

 

Der hohe graue Küstennebel liegt wieder über der Küste, als wir über eine Waschbrett-Piste Punta Lobos erreichen. Hier stehen am Ende der weiten Bucht einige zusammengeschusterte Bretterbuden, von denen zurzeit nur wenige bewohnt sind. Wir stellen unseren Camper ein Stück entfernt unterhalb von zwei unbewohnten Ferienhäusern ab. Später erleben wir einen der unvergesslichsten Sonnenuntergänge, die wir bisher gesehen haben. Die untergehende Sonne beleuchtet die Wolken über uns und dem Meer von Orange über Rosa bis Purpur.

 

Nach mehreren Faulenzertagen unter dem bedrückenden hohen Küstennebel haben wir endlich mal wieder Sonnenschein, als wir auf dem Circuito Costero dem Cerro Negro entgegen fahren, der sich 774 Meter an der Küste erhebt und in Wolken gehüllt ist. Er gehört zum Parque Nacional Llanos de Challe, wo wir unseren Vagabundo neben Felsen auf dem Campingplatz Playa Blanca abstellen und mehrere Tage bleiben. Die Stellplätze sind mit Tisch, Bank und Sonnendach aus Palmwedeln ausgestattet. Von hier haben wir einen schönen Blick auf die weißen Dünen, den Strand und auf das blau leuchtende Meer. Wir spazieren ganz allein am schneeweißen Strand Playa Blanca entlang, an den hohe Wellen schlagen. Zum Sonnenuntergang grillen wir Steaks und sitzen in der Dunkelheit am Lagerfeuer, über uns der klare Sternenhimmel. Das trockene Holz schaukeln wir schon seit über einem halben Jahr durch Südamerika.

 

Je weiter wir das graue Küstengebiet verlassen und Richtung schneebedeckte Anden fahren, desto mehr breitet sich blauer Himmel über uns aus. Wir erreichen die 125.000-Einwohner-Stadt Copiapó, die von menschenabweisender Wüste umgeben ist. Durch drei kleine Flüsse ist das Tal grün und damit Grundlage für das Leben. Copiapó entstand, als am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in der näheren Umgebung Silbervorkommen entdeckt wurden. Auch heute noch ist die Stadt vom Bergbau der Region geprägt. Hier in der Umgebung der gepflegten Plaza Prat mit seinen Palmen und alten Pfefferbäumen fühlen wir uns wohl. In der vollbesetzten Resto-Bar Don Pepe wird freundlicherweise extra für uns der Fernsehkanal mit der Fußball-EM eingeschaltet. Auf dem Weg nach Westen sehen wir, dass hier wohl vor längerer Zeit gewaltige Wassermassen durch Tauwetter in den Bergen weite ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Tal schwer verwüstet haben. Über eine staubige Piste kommen wir zum gepflegten Camping Agroturismo 2 Hermanos, (www.agroturismo2h.cl) wo wir mit dem netten Mitarbeiter Leo und seinen Freunden das Copa America-Spiel der Chilenen bei Bier und Asado draußen im TV ansehen.

 

Der kleine Ort Bahia Inglesia liegt an mehreren kleinen schneeweißen Sandstränden, die von schwarzem Vulkangestein unterbrochen sind. Er besteht fast nur aus Restaurants, Hotels und vor allem Cabanas, Apartmentanlagen und Eigentumswohnungen. An ihn schließt sich ein kilometerlanger Sandstrand an, den wir entlang spazieren. Die Panamericana führt nördlich durch karge, mondähnliche Landschaft. In Chanaral biegen wir ab auf die Waschbrett-Piste C-120 zum Nationalpark Pan de Azúcar. In Stadtnähe liegt wieder einmal noch mehr Müll herum, als sonst schon. Mit 15 km/h tuckern wir durch eine Kraterlandschaft mit einzelnen Kakteen. Am Playa Refugio stehen wir etwa fünf Meter über dem Meeresspiegel in einer wunderbaren Felslandschaft mit einem großartigen Blick auf den langen Sandstrand. Morgens lugt die Sonne nur für eine halbe Stunde über den Berg und beleuchtet den weißen Sandstrand, die goldgelben Felsen und den blauen Pazifik. Als wir vom Strandspaziergang zurück sind, können wir etwa 300 m vor uns auf dem Meer tausende Kormorane, Möwen, Pelikane und andere Seevögel sehen. Unter Ihnen ist die Wasseroberfläche unruhig, denn es zieht anscheinend ein riesiger Schwarm von Sardellen oder Sardinen vorbei. Für sie bietet der kalte, nährstoffreiche Humboldt-Strom eine hervorragende Lebensgrundlage. Die Vögel stürzen sich immer wieder aus bis zu zwanzig Meter Höhe senkrecht auf die Fische. Fast entlang der ganzen Bucht ziehen Fische und Vögel, drehen ab und kommen noch näher als zuvor bei uns in Strandnähe entlang. Ein beeindruckendes Naturschauspiel, das sich über eine halbe Stunde hinzieht.

 

Bei der Conaf-Verwaltung Parque Nacional Pan de Azúcar decken uns mit Informationen ein und fahren weiter zum winzigen Dorf, wo wir am Strandrestaurant einkehren. Auf Nachfragen erfahre ich, dass es im Dorf nur im Haus von Manuel einen Fernseher mit Fußballkanal gibt. Manuel hat sieben Kinder und acht Enkelkinder. Er lädt uns in sein Wohnzimmer ein, wo schon der Fernseher läuft. Ich stelle ihm drei Flaschen Corona-Bier auf den Tisch. Er sagt, das ist doch mexikanisches Bier, oder? Ich sage „Si“. Au weia, heute spielt doch Chile gegen Mexiko und ich bringe unserem chilenischen Gastgeber hier mexikanisches Bier mit. Desculpe, Entschuldigung! Aber Manuel trinkt es trotzdem mit Genuss, denn Chile schlägt die Mexikaner im Viertelfinale des Copa America mit sage und schreibe 7:0. Und das vor sechzigtausend zuerst frenetisch anfeuernden, dann enttäuschten mexikanischen Fans. Nach Mitternacht schenken wir Manuel noch eine Flasche Rotwein und verabschieden uns. Am nächsten Tag wandere ich drei Kilometer durch ein breites Tal und dann noch zwei Kilometer weiter in die immer enger werdende, mit großen Kakteen bestandene sehenswerte Schlucht Quebrada Castillo. Auf unserem herrlichen Stellplatz außerhalb des Parks verbringen wir ein paar Tage mit Johannes aus Köln, der mit einem alten in Santiago gekauften VW-Bus sieben Monate durch Südamerika reisen will. Beim abendlichen Lagerfeuer kommen später auch Jessica und Michi aus der Schweiz dazu, die seit zwei Jahren in Santiago wohnen und arbeiten.

 

Am Ende des langen grobkörnigen Sandstrand Cifuncho stellen wir unser RMB-Wohnmobil ab und genießen den Sonnenuntergang und den Sternenhimmel. Die Holz- und Blechhütten des Dorfes Cifuncho sind zusammengeschustert, aber bei vereinzelten stehen auch recht gut aussehende Pickups davor. Der Ort Taltal hatte zu besseren Zeiten einen großen Hafen für die Ausfuhr des in der Umgebung geförderten Salpeters. Außer der gepflegten Plaza mit sehenswerten bunten Häusern und einen netten Park am Meer bietet er aber nicht viel.

 

Da der Küstennebel mal wieder aufs Gemüt drückt, fahren wir in weiten Kehren an der Cordillera de la Costa bergauf und tausend Meter höher taucht endlich blauer Himmel über uns auf. An den Berghängen wird intensiver Bergbau betrieben. In zweitausend Meter Höhe biegen wir ab Richtung Observatorium Cerro Paranal und nach der Bewältigung einer steilen Straße halten wir dreihundert Meter höher auf einem geschotterten Parkplatz. Weiter hoch oben auf dem 2644 Meter hohen Berg sehen wir vier riesige, silbern blitzende Observatorien der europäischen Astronomie-Organisation ESO (European Southern Observatory). Die Anlage Very Large Telescope (VLT) kombiniert vier Spiegel von je 8,20 m Durchmesser sowie drei kleinere und simuliert so die optische Auflösung eines 200-Meter-Telescops. Das ergibt eine bisher unvorstellbare Beobachtungs-Reichweite und –Genauigkeit. Theoretisch könnte man damit einen Mann auf dem Mond erkennen. Doch die Astronomen sind hinter fernen Galayxien und den Ursprüngen des Universums her. Damit ist es eine der modernsten und mit fortschrittlichsten Hightech ausgestatteten Anlagen der Welt. Ein weiteres im Bau befindliches Observatorium ist auf einem benachbarten Berg zu erkennen. Im Jahre 2018 ergibt die Zusammenschaltung dann das European Extremely Very Large Telescope. 350 Tage im Jahr ist es hier oben im wahrsten Sinne des Wortes sternenklar. Wir haben uns bereits vor einiger Zeit per Internet für eine Besichtigung übermorgen angemeldet. Toll, nachdem alle anderen Besichtigungen von Observatorien wegen Bewölkung nicht möglich waren.

 

Am nächsten Tag ist alles hier oben in Wolken und es weht heftiger, kalter Wind. Unmittelbar nach einem schönen Sonnenuntergang ziehen von Nordwesten schnell dichte Wolken auf und bedecken innerhalb von einer Minute den Cerro Paranal mit seinen Observatorien. Die Wolken kommen schnell näher und wir sind eingenebelt. Mit den Franzosen Adriane und Eric sitzen wir abends in unserem warmen Wohnmobil bei einer Flasche Rotwein und unterhalten uns angeregt. Plötzlich klopft es kräftig an der Tür. Der Mitarbeiter der ESO teilt uns mit, dass dies Privatgelände sei. Außerdem erwarte man in der Nacht Schnee und wir könnten morgen vielleicht Probleme bekommen, die steile Straße hinab zu fahren. Außerdem erklärt er uns, dass wegen der Wetterlage die Besichtigungen der Observatorien morgen sowieso ausfallen. Na, das ist ja prima. Wir werden jetzt in Südamerika kein Observatorium mehr besichtigen können, denn auf unserem weiteren Weg gibt es keines mehr. Nach einer Stunde fahren wir dreihundert Höhenmeter nach unten und stellen uns dort an den Straßenrand. Am nächsten Morgen blicken wir auf eine Winterlandschaft ringsherum und fahren in tiefer liegende Gebiete.

 

Nahe der Panamericana besichtigen wir die Geisterstadt Chacabuco. Im Jahre 1924 hat man hier eine Minenanlage errichtet und pro Monat wurden 15.000 Tonnen Salpeter gewonnen. Bis zu 7.000 Arbeiter lebten mit ihren Familien in den Wohnbaracken dieser kompletten Stadt mit Hospital, Park, Geschäften und sogar einem Theater. Nach nur 11 Jahren wurde die gesamte Stadt aufgegeben, weil in Deutschland künstliches und billigeres Salpeter als Grundlage für Düngemittel und Sprengstoff entwickelt wurde. Chacabuco wurde in kürzester Zeit zur Geisterstadt. Unter dem chilenischen Diktator Pinochet wurden von der Militärjunta ab 1973 in den Baracken politische Gefangene eingesperrt. Wir spazieren in der Nachmittagshitze fast allein durch die verfallenen Häuser und an den Verarbeitungsanlagen vorbei, wo noch riesige Maschinen vor sich hin rosten.

 

Fortsetzung siehe unter Bericht Chile 9