Chile 5
Region Aysén
Vom 2. bis zum 11. April 2016
Fortsetzung von Bericht Argentinien 8
Die Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.
Gleich hinter Chile Chico geht es bergauf und es beginnt die Piste Ch 265. Wir blicken hinunter auf die türkisgrüne Laguna Verde. Weiter geht es durch eine malerische Landschaft oberhalb des Lago General Carrera entlang. Immer wieder bieten sich bei klarer Sicht tolle Ausblicke auf den tiefblauen See. Der starke Westwind treibt hohe Wellen mit weißen Schaumkronen vor sich her. Nach 30 km finden wir rechts der Piste einen schönen sicheren Platz etwas abseits der steilen Felsen, von denen jederzeit wieder Geröll herunterfallen kann. Von unserem RMB-Wohnmobil aus haben wir einen herrlichen Blick über den tiefblauen See und die dahinter aufragenden Berge. Ein Fünf-Sterne-Platz nur für uns allein, wie ihn hier kein Hotel hat, weil es auf dieser Seeseite keines gibt. Nach dem Abendessen beobachten wir über eine Stunde lang das Schauspiel des Sonnenuntergangs und den danach in immer wechselnden goldenen bis purpurnen Farbtönen beleuchteten Wolken. Über so einen langen Zeitraum haben wir das noch nie erlebt, einfach phantastisch. Der Wind dreht, nimmt ständig zu, pfeift und schüttelt uns mit dem Vagabundo fast die ganze Nacht mächtig durch.
Am nächsten Tag hat der nachgelassen, als wir ganz allein weiter auf der Piste oberhalb des Lago General Carrera entlang durch diese traumhafte Landschaft fahren. Diese Strecke zählt nicht ohne Grund zu den außergewöhnlichsten in Chile. Die Piste ist meist waschbrettartig und mit Schlaglöchern versehen. Durch eine beeindruckende Felslandschaft windet sie sich in Serpentinen bergab und dann steil bergauf. Massive Betonmauern sind von herabfallendem Geröll eingestürzt. Weit hinter dem See in etwa siebzig Kilometer Entfernung können wir bei großartiger Fernsicht den gletscherbedeckten 3910 m hohen Monte San Valentin erkennen. Er befindet sich am Rande des Campo de Hiello Norte, des riesigen Nördlichen Patagonischen Eisfeldes, das über hundert Kilometer lang und bis zu sechzig Kilometer breit ist. Immer wieder haben wir diese unvergleichlichen Ausblicke auf die im Norden und Westen aufragende Gebirgsszenerie. In schmalen Tälern fahren wir vorbei an trockenen Weideflächen, auf denen Rinder und Pferde grasen. In einiger Entfernung zum See überqueren wir in einer tiefen Schlucht die Brücke über den Rio Hernandez. Es folgt Weideland mit Blechbüchsen-Häuschen der kleinen Bauernhöfe. Schafe grasen und acht Pferde laufen frei vor uns her über die Piste. Ein berittener Gaucho kommt uns mit seinen beiden Hunden entgegen und grüßt zurück. Dann unterhalten wir uns einige Zeit mit einem Fahrradfahrer, der seinen Drahtesel bergauf schiebt. Es ist Richard aus London, der ein paar Monate auf der Carretera Austral unterwegs ist. Auf der Weiterfahrt blicken wir von oben zu malerisch am Rio Las Dunas gelegenen Farmen, die von der letzten Nachmittagssonne beschienen werden.
Auf der Carretera Austral fahren wir später am Lago Bertrand vorbei, der sehr schön von Bergen eingerahmt liegt. Wir erreichen den von Gletscherwasser gespeisten türkisgrünen Rio Baker und fahren dann nach Norden zum Ort Puerto Rio Tranquilo. Von dort unternehmen wir eine organisierte Bootstour zu den Marmorkathedralen (Capillas de Mármol). In Millionen von Jahren hat das Wasser des Sees den harten Marmorstein der steilen Felswände ausgehöhlt und poliert. Es entstanden dabei an der steilen Küste Marmoradern in Blauweiß, Rosa und Grau. Das klare Wasser des Sees spiegelt die Sonne unter der Decke und verleiht dem Marmor unter der Wasseroberfläche eine bläuliche Farbe. Teilweise haben sich natürliche runde Fenster aus Marmor gebildet. Die Rückfahrt gegen den Wind und bis zu drei Meter hohe Wellen trägt zusätzlich dazu bei, dass der Ausflug zu diesem Naturwunder ein phantastisches Erlebnis war.
Wir wechseln den defekten Reifen und fahren auf der Piste X-728 in das Valle Exploradores, das Tal der Forscher. Die Piste schlängelt sich bergauf und bergab durch die wilde Bergwelt. Plötzlich Gegenverkehr durch eine Herde Kühe, die ein berittener Gaucho vor sich her treibt. Immer weiter hoppeln wir nach Westen auf das Nördliche Patagonische Eisfeld zu. Immer wilder wird die grüner werdende Landschaft mit ihren steil aus dem Tal aufragenden Bergen. Wasserfälle aus dem schmelzenden Campo del Hierro Norte stürzen in die Tiefe. Der Cerro Caballo vor uns ragt über 1800 m aus dem Tal heraus. Ein Mann führt ein Ochsengespann mit Gummi-Wagen auf der Waschbrett-Piste vor sich her. Der Waldboden ist von dickem, weichem Moos bedeckt. Dann bietet sich uns ein Wahnsinns-Blick auf einen riesigen Gletscher-Zeh im Westen vor uns. Es folgen weitere Gletscher, ehe wir das Campo Alacaluf, das Anwesen von Katrin und Thomas, erreichen. www.campoalacaluf.com
Die Alacaluf waren ein Indianerstamm am Pazifik. Sie ernährten sich hauptsächlich von Muscheln. Vor einigen Jahren ist der letzte Alacaluf verstorben. Die meisten starben an den Folgen einer Muschelvergiftung Marea Roja. Es ist die gefürchtete „Rote Flut“, die in unregelmäßigen Abständen die südliche chilenische Pazifikküste heimsucht. Sie ist eine Epidemie giftiger Mikroalgen im Meer, die sich in Muscheln anreichern. Deren Genuss kann dann, wenn der Betreffende nicht sofort ärztlich behandelt wird, tödliche Folgen haben: Muskelerlähmung führt zum Ersticken.
In der Dunkelheit starte ich bei Minustemperaturen warm angezogen mit dem Motorroller zum Ende des Valle Exploradores. Die Piste hat oft hohes festes Waschbrett auf ganzer Breite, das ich kaum umfahren kann. Außerdem Schlaglöcher, garniert mit losen Steinen, auf denen ich wie auf Eiern fahre. Als Sahnehäubchen ragen manchmal Findlinge (Felsen) hervor. Die von den Gletschern kommende Kälte dringt auch an meine Beine, Füße und Hände, die inzwischen eiskalt sind. Grund dafür ist auch die extreme Luftfeuchtigkeit von 100 %, die hier zu 80 % des Jahres herrscht. Über leicht vermoderte Brücken quere ich weitere kleinere Flüsse, die in das Tal des Exploradores (das Tal der Forscher) münden. Am Ende der Piste hoffe ich, dass ich an der Tour mit dem Zodiac-Boot zur Laguna San Rafael teilnehmen kann. Doch der Veranstalter muss am Vortag von allen Mitfahrenden die Namen, Geburtsdaten und Reisepass-Nr. der chilenischen Marine melden, damit im Falle eines Unfalles festgestellt werden kann, wer an Bord ist oder war. Dies war gestern leider nicht möglich. Abends im Campo Alacaluf genießen wir Katrins Rinderbraten mit Rotkohl. Am nächsten Tag haben wir von einem Aussichtspunkt einen guten Blick zum Gletscher. Der erkennbare weiße Gletscher-Zeh ist über zwei Kilometer entfernt. Aber der Gletscher reicht bis ein paar hundert Meter vor den Mirador und führt Millionen Tonnen von Geröll und Felsen mit sich. Er füllt das gesamte breite Tal aus. Weit in der Ferne sehen wir durch das Fernglas zwei Gruppen, die auf dem Gletscher an den Spalten entlang gehen. Als wir später zurück durch das Tal am Rio Tranquilo entlang fahren, sehen wir, wie rechts der Piste einige Männer auf einer Wiese gerade ein geschlachtetes Rind ausnehmen. Fahrzeuge, die uns entgegenkommen, grüßen. So ist das in dieser abgelegenen Gegend üblich.
Auf der Weiterfahrt auf der Carretera Austral machen wir einen Stopp am Rio Murta und treffen die Schottin Ishbel. Sie ist mit ihrem Fahrrad seit zwei Jahren auf Weltreise und erzählt kurz von ihren Erlebnissen. Alle Achtung vor dieser Leistung! Sie will noch weiter nach Afrika oder Nordamerika, so genau weiß sie es noch nicht. Im Tal des Rio Ibanez fahren wir entlang des Bosque Muerto, dem toten Wald. Vierzig Kilometer westlich ist im Jahre 1991 der Vulkan Hudson ausgebrochen. Seine Lava, Geröll und Vulkanasche sind durch die Täler bis in das Tal des Rio Ibanez geschoben worden und haben das Flusstal auf das Doppelte verbreitert. Die Bäume im bisherigen Tal hatten keine Chance und starben ab. Auf den folgenden dreißig Kilometern Baustelle werden von etwa hundert verschiedenen Baggern, Lastwagen und anderen Fahrzeugen riesige Gesteinsmassen an den steil aufragenden Felsen abgetragen und irgendwo hingeschüttet. Zwischendurch wird gesprengt und die Straße ist gesperrt. Die massiven Eingriffe in die Natur sind unübersehbar. Später erreichen wir Puerto Ibanez. Von dort setzen wir auf einer zweistündigen Fahrt mit der Fähre über den Lago General Carrera nach Chile Chico über. Am nächsten Tag passieren wir die Grenze nach Argentinien.
Fortsetzung siehe Bericht Argentinien 9.