Chile 4
Region Los Lagos: Von Futaleufú bis Puyehue
14.03.-25.03.2016
Fortsetzung von Bericht Argentinien 7
Die entsprechenden Bilder zu diesem Reisebericht findet man am Ende des Textes.
Wir sind die einzigen Reisenden bei der argentinisch-chilenischen Grenzabfertigung. Futaleufú ist ein gepflegter Ort mit einer großen rosengeschmückten sauberen Plaza, rustikalen wettergegerbten Holzgebäuden und einigen Restaurants. Der Tourismus hat Futaleufú zu dieser Entwicklung verholfen. Es ist der Rio Futaleufú, der Abenteurer aus aller Welt in Kajaks und Schlauchbooten hierher lockt. Er ist einer der besten Wildwasserflüsse auf der Welt neben dem Colorado/USA und dem Sambesi in Botswana/Afrika. Ich möchte gern die extreme Ganztagestour im 8-Personen-Schlauchboot mit vielen Stromschnellen bis zur Schwierigkeits-Klasse V mitmachen. Doch wegen der Nachsaison sind nicht genug Interessenten hier. Daher wird nur die Halbtagestour angeboten, die nur eine Stromschnelle der Klasse V beinhaltet. Schade, aber wenn schon, dann will ich das volle Programm.
Wir fahren weiter auf der schmalen Schotterpiste durch bewaldete Landschaft und die teilweise enge Schlucht des Rio Futaleufú. Dann kommen wir in ein weites malerisches Flusstal und verbringen die Nacht in unserem RMB-Wohnmobil am Ufer des Rio Espolón. Auf der Weiterfahrt bestimmen dichte grüne Wälder das Bild der Sierra La Ventana. Wir sehen links das mächtige Gebirge Cordón Blanca mit seinen gletscherbedeckten Gipfelregionen. Bei klarer Sicht, wolkenlosem Himmel und Windstille haben wir wunderbare Ausblicke auf den dreißig Kilometer langen Lago Yelcho, die Insel Isla Monita und die schneebedeckten Berge im Osten. Die bisherigen siebzig Kilometer Piste setzen sich auf der CH-7, der legendären Carretera Austral fort. Sie erstreckt sich von Puerto Montt über tausenddreihundert Kilometer bis Villa O’Higgins. Erst im Jahre 1976 begann man mit zehntausend Soldaten den Bau der Carretera Austral, das Chiles aufwendigstes Großprojekt des 20. Jahrhunderts wurde. In zwanzig Jahren Bauzeit hat die Fertigstellung dieser Schotterstraße zweihundert Millionen Dollar verschlungen. Wenn uns LKW’s entgegenkommen, umhüllt uns immer eine dichte Staubwolke. Dann müssen wir vor einer gewaltigen Baustelle eine Stunde warten. Hier wird der steile Berghang halb abgetragen und in den Lago Yelcho geschüttet. Ein unübersehbarer Eingriff in die Natur. Alles für den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Hundert Meter höher am Hang ist ein großer Bagger an Seilen befestigt und schiebt große und kleine Felsbrocken hinunter, die dann über die Piste in den See donnern. Immer wieder rollen Felsen den steilen Hang herunter. Nach einer Stunde räumt unten ein anderer Bagger alle Brocken von der Piste und die wartende Autoschlange kann weiterfahren. Wir folgen als letzte einem Bus. Etwa 50 Meter vor der geräumten Stelle hält er plötzlich an, weil unerwartet weitere große Gesteinsbrocken von oben auf die Piste herunterpoltern. Als anscheinend kein weiteres Geröll folgt, fährt der Bus weiter. Ich gebe Vollgas, damit wir diese abenteuerliche Stelle schnell passieren.
Von der nun asphaltierten Carretera Austral haben wir einen schönen Ausblick auf den imposanten 2300 m hohen Vulkan Corcavado mit seinen ausgedehnten Gletschern. Die Morgensonne scheint auf die noch feuchten grünen Wiesen. Wir erreichen den gepflegten Ort Amarillo, der mit seinen in verschiedenen Farben gestrichenen Holzhäusern und seinen sauberen Gartenanlagen ein wenig an Kanada erinnert. Die Umgebung ist unberührte, wilde Natur, deren Wälder bis zu den Berggipfeln hinauf reichen. LKW-Fahrer und Radfahrer grüßen uns. In der Ferne sehen wir Meernebel des Pazifik, der über dem weiten Tal des Rio Negro liegt.
Dann sind wir im Ort Chaitén, der in einer natürlichen Bucht und unterhalb des knapp tausend Meter hohen Vulkans Chaitén liegt. Der Vulkan galt als erloschen, bis die Einwohner am 2. Mai 2008 starke Erdstöße und eine Explosion hörten. Der Vulkan schleuderte seine Asche bis zu zwanzig Kilometer hoch. Durch starke Westwinde wurde die Asche bis nach Buenos Aires getrieben und verdunkelte die Stadt. Am stärksten betroffen wurde aber der Ort Chaitén, der innerhalb eines Tages von einer zwanzig Zentimeter dicken Ascheschicht überzogen wurde. Die Regierung evakuierte über siebentausend Einwohner der ganzen Umgebung. Tausende Nutztiere auf den mit dicker Asche bedeckten Weiden gingen jämmerlich zugrunde. Außerdem trat der unter dem Vulkan entspringende Rio Blanco über die Ufer und überschwemmte große Teile der Stadt mit Asche, Schlamm und Geröll. Ganze Straßenzüge wurden verwüstet, Holzhäuser weggespült oder unter Schlamm begraben. Die Wasser- und Stromversorgung wurde vollständig zerstört. Und im Februar 2009 ist der Vulkan erneut ausgebrochen.
Als wir nach Chaitén kommen, sehen wir noch etliche unbewohnte und verfallene Häuser. Von einigen Grundstücken sind die zerstörten Holzhäuser bereits entfernt worden. Aber wir sind auch überrascht, dass dieser Ort wieder lebt und die Bewohner neue Häuser bauen und anscheinend positiv in die Zukunft schauen. Vielleicht denken sie, der Vulkan bricht erst in neuntausend Jahren wieder aus, denn so viele Jahre ist es her, dass die vorletzte Eruption stattfand. Auch etliche Straßen werden neu betoniert. Am östlichen Ortsrand in der Nähe des Rio Blanco sehen wir noch die massivsten Schäden an den Häusern, die in Flussnähe stehen. Der Fluss hat dort den Schlamm und die Asche über einen Meter hoch in die unteren Etagen gespült und die Häuser unbewohnbar gemacht. Wir klettern in die Häuser hinein, die aussehen, als hätten die Bewohner sie fluchtartig verlassen und alles stehen und liegen gelassen. Möbel stehen noch dort, Fernseher, Radios, Computer, Waschmaschinen, Schuhe und viele andere Utensilien der Haushalte. Alles ist vom Schwefelstaub bedeckt oder oxydiert. Schulranzen und Bücher liegen herum und sogar Puppen, als hätten die Kinder sie eben gerade fallen gelassen. Einige Häuser sind so schief, dass sie drohen, jeden Moment zusammenzukrachen. Wir können nur erahnen, welche Schicksale sich hier zugetragen haben. Wie die Menschen, die hier lebten, von einen Tag auf den anderen all ihr Hab und Gut ihres Lebens verlassen mussten. Und nie wieder in ihre Heimat zurückkehrten konnten.
Schwer beeindruckt von der Macht der Natur fahren wir auf der Carretera Austral weiter zum Playa Santa Barbara. Von unserem Stellplatz haben wir einen herrlichen Blick auf das Meer und sehen den Delfinen zu, die dort entlangziehen. Der lange schwarze Sandstrand mit der üppigen Vegetation an der Steilküste dahinter hat fast karibische Ausstrahlung. Die Steilküste ist bewachsen mit Bäumen und Farnen, aber auch regenschirmgroßen Nalca-Blättern, die aussehen wie riesiger Rhabarber. Aber wir sehen auch den Müll, der sich an der Steilküste angesammelt hat. Diese vielen Plastikflaschen und der andere Wohlstandsmüll, der von hirnlosen Menschen einfach der Natur überlassen wird.
Nur wenige Kilometer nördlich sind wir im Parque Pumalin Sur. Der Park wurde gegründet von Douglas Tompkins. Er war Mitbegründer der Firmen Esprit und North Face und hat Anteile von über hundert Millionen Dollar an diesen Firmen verkauft. Mit dem Erlös kaufte er sich in Chile große zusammenhängende Urwaldgebiete mit dem Ziel, die Natur in ihrem Urzustand zu erhalten und vor der Abholzung zu schützen. Tragisch ist, dass der Naturliebhaber Tompkins im Dezember 2015 bei einer Kajaktour auf dem Lago General Carrera ums Leben kam. Darüber in unserem späteren Reisebericht mehr. Unter seiner Leitung wurden insgesamt über 800.000 Hektar Land in Naturparks verwandelt, darunter auch der Pumalin Park. Dieser Park ist einer der schönsten Naturparks in Chile und inzwischen sogar offiziell zum Naturheiligtum erklärt worden. Wir rollen fast allein auf der schmalen vulkanschwarzen Erdpiste, die von beiden Seiten von riesigen Farnen und regenschirmgroßen Nalca-Blättern begrenzt wird. Außerdem wächst dichtes Buschwerk und die blühenden Fuchsien-Sträucher sind bis zu fünf Meter hoch. Alles ist vom Regen noch triefend nass, ebenso wie die dichten undurchdringlichen Wälder dahinter. Immer wieder sehen wir noch die Folgen des Chaitén-Vulkanausbruchs. Im Tal zeigen sich große Verwüstungen. Riesige Bäume wurden von den Schlamm-Massen umgerissen.
Mit unserem Motorroller hoppeln wir zwanzig Kilometer auf der Piste, vorbei an den Seen Lago Blanco und Lago Negro. Auf dem Sendero Alerces wandern wir über eine kleine Hängebrücke und vierzig Minuten durch den Wald. Dann sind wir bei den riesigen Alercen, die mehrere hundert Jahre alt sind und einen Stammdurchmesser von zweieinhalb Metern haben. Es ist wie in einem geheimnisvollen Märchenwald, in dem wir fast allein sind. Am Parkplatz werden wir nicht zum ersten Mal gefragt, ob wir hier in Südamerika mit dem Piaggio-Roller unterwegs sind. Naja, irgendwie schon.
Traumhaft ist der Campingplatz El Volcan, vom dem wir herrliche Ausblicke auf den noch dampfenden Vulkan Chaitén. Als es dunkel wird und der fast volle Mond aufgeht, beleuchtet er den nun vollständig freien gletscherbedeckten erloschenen Vulkan Michimahuida. Es ist eine phantastische Landschaft hier, malerisch und bedrohlich zugleich.
Später wandern wir auf dem Sendero Cascadas Escondidas. Über viele Wurzeln, Stege und kleine Treppen geht es vorbei an hohen Bambusstauden und durch den dichten kalten Regenwald mit moosbewachsenen alten Bäumen bergauf zu den Wasserfällen. Über grobgezimmerte rutschige Leitern klettern wir zu den über zwanzig Meter hohen Wasserfällen.
Mit einer Fähre überqueren wir den Fiordo Renihue. Später folgt eine faszinierende Fährfahrt von Leptepu nach Hornopirén. Bei Windstille und unter fast wolkenlosem Himmel fahren wir zunächst zwischen der Halbinsel Huequi und den über tausend Meter hohen teils schneebedeckten Ausläufern der Anden nach Norden. Weit im Süden sehen wir rückblickend den fünfzig Kilometer entfernten gletscherbedeckten Vulkan Michmahuida. Als wir später auf dem schmalen Canal Cholgo fahren, sehen wir vor uns den über zweitausend Meter hohen Gletscher des Vulkan Yates.
Später führt die R7 direkt an der Küste entlang und bietet schöne Blicke auf das Meer. Die teils farbigen Holzhäuser mit den Fischerbooten im Wasser und die Landschaft erinnern uns etwas an Nova Scotia im Osten Kanadas. Auf der engen Schotterpiste zum Nationalpark Alerces Andino mit Waschbrett, vielen Schlaglöchern und überhängenden Ästen folgen wir den Hinweisen von Arbeitern, dass wir hier lieber nicht weiterfahren sollten.
Später in Llanquihue ist bei Mercedes Kaufmann die gute Nachricht, dass die Lenkstange aus Deutschland (endlich) eingetroffen ist und ausgewechselt werden kann. Endlich, mit sechs Wochen Verspätung. Nur, weil Mercedes Kaufmann keine Bestellungen per E-Mail unter Angabe unserer Kreditkarten-Nummer annimmt und alles nur persönlich erfolgen kann. In Puerto Montt werden wir von Peter angesprochen. Seine Urgroßeltern sind 1854 aus Deutschland nach Chile ausgewandert. Urgroßeltern und Großeltern haben sich zu Hause immer auf Deutsch unterhalten. Sein Vater hat immer die deutsche Staatsangehörigkeit behalten und konnte sich nie richtig Spanisch angewöhnen. Drei Generationen nach dem Ausgewanderten können die Angehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit behalten. Daher hat Peter die chilenische und deutsche Staatsangehörigkeit. Seit drei Jahren ist der ehemalige Polizist Pensionär. Wir sitzen in seiner Küche, wo er uns zum Abendessen einlädt und viel über das Leben in Chile erzählt. Peter hat als Sechsjähriger in diesem Hause das größte je gemessene Erdbeben am 22. Mai 1960 miterlebt. Es hatte die Stärke 9,5 auf der Richterskala. Das Fachwerkhaus schwankte und verbog sich etwas, aber es fiel nicht um. Im Hafen von Puerto Montt erfahren wir, dass die Fähre von Quellon auf der Insel Chiloé nach Puerto Cisnes erst für die Fahrt in 14 Tagen reservierbar ist und etwa 800 € kostet. Nunmehr wollen wir über Bariloche weiter ins südliche Argentinien und von dort aus zum Lago General Carrera und wieder auf die Carretera Austral.
Im Zentrum von Puerto Varas findet man an Geschäften und anderen Gebäuden noch viele deutsche Namen und hier befindet sich auch der Club Alemán. Neben seiner Eingangstür steht der Satz des deutschen Einwanderers Carlos Andwanter aus dem Jahre 1850, der für seine deutschen Landsleute sprach: „Wir werden ehrliche und arbeitsame Chilenen sein, sowie es der beste unter ihnen vermag.“ Am südlichen Lago Llanquihue finden wir noch einige deutsche Namen und saubere Bauernhöfe im Bereich des Sees. Die deutschen Einwanderer haben sich wirklich eine wunderschöne Landschaft zu Füßen des Vulkans Osorno ausgesucht. Hinter Ensenada fahren wir ständig bergauf bis auf 1200 m Höhe zum Parkplatz unterhalb der Schneegrenze des 2660 m hohen Vulkans Osorno. Dort stellen wir unser Wohnmobil ab und wandern eine Stunde lang auf gut angelegten Holzstegen bergauf über die lockere schwarze Lavaasche. Über uns die Eisfelder des Osorno. Bei wolkenlosem Himmel schweift unser Blick weit über den See, den noch leicht dampfenden Vulkan Calbuco und die Anden bis zum gletscherbedeckten Cerro Tronador an der Grenze zu Argentinien. Von unserem Stellplatz am Hang haben wir beim Abendessen durch unsere Panoramascheiben einen unvergleichlichen Blick hinunter zum Lago Llanquihue, hinter dem am Horizont der Sonne nun orange leuchtend untergeht. Am nächsten Morgen erleben wir den Untergang des Vollmondes im Westen. Ein unvergessliches Erlebnis!
Eine schöne, kurvenreiche Fahrt führt am Ostufer des Sees entlang. Die Häuser weisen eine deutsche Bauweise auf und die Grundstücke sind sehr gepflegt. Zwischen Wäldern immer wieder Bauernhöfe mit sattgrünen Wiesen, auf denen Kühe grasen. Eine Idylle. Es weht eine Fahne mit der Aufschrift „Leever Duad Üüs Slaav“. Wir machen einen kleinen Abstecher zum Ort Puerto Octay, der ebenfalls von deutschen Einwanderern gegründet wurde. Sie waren es, die sich von der Stadt Osorno im vorletzten Jahrhundert sechzig Kilometer weit durch den Urwald bis nach Puerto Octay geschlagen und die Gegend landwirtschaftlich nutzbar gemacht haben. Heute sieht man der Fachwerk-Bauweise einiger Häuser und der Kirche noch die deutschen Spuren an. Ein Hotel Haase finden wir auch im Ort. Später fahren wir ostwärts durch die Wälder Richtung Anden bis Anticura im Parque Nacional Puyehue. Durch den dunklen Wald mit altem Baumbestand wandern wir zu den idyllischen Wasserfällen La Princesa und Indio. Wieder einmal über den Paso Samoré erreichen wir Argentinien.
Fortsetzung siehe Bericht Argentinien 8