Brasilien 9

 

Bundesstaaten Acre bis Minas Gerais

 

Vom 31. Juli bis 11. August 2016

 

Fortsetzung von Bericht Peru 4

 

Die Fotos zu diesem Reisebericht findet man am Ende des Textes.

 

Wir hätten nicht gedacht, dass wir noch einmal nach Brasilien kommen würden. Denn eigentlich war geplant, über das nördliche Peru nach Ecuador und Kolumbien zu reisen. Aber bedingt durch den dreimonatigen Ausfall unseres Wohnmobils (siehe Reiseberichte Peru 3 und Bolivien 9) fehlt uns die Zeit bis zur Verschiffung nach Deutschland Anfang November. So nutzen wir die Möglichkeit, unseren Sohn und unseren Neffen im September an der Ostküste von Brasilien zu treffen. Bei den freundlichen brasilianischen Grenzbeamten komme ich auf die Olympiade in Rio de Janeiro zu sprechen und auf das Fußballturnier. Der eine Beamte sagt mit einem Augenzwinkern „We don’t talk with Germans about Football“. Die 1:7-Niederlage bei der Fußball-WM sitzt noch tief im Gedächtnis der Brasilianer. Beim Verlassen des Büros sage ich aber noch „Olympia-Finale Brasil – Alemanha“. Die beiden stutzen. Dann füge ich hinzu „Brasil 7 – - - - - (Die beiden stutzen noch einmal) - - - - - - - - - - Alemanha 9“. Die beiden lachen und ich verabschiede mich. Da die Sonne inzwischen untergegangen ist und es schnell dunkel wird, übernachten wir gleich beim Gebäude der Grenzstation.

 

Im Gegensatz zu den Obstplantagen in Peru herrscht im brasilianischen Bundesstaat Acre Weidewirtschaft vor. Immer wieder sehen wir die hellhäutigen buckligen Jaburi-Rinder grasen, die zu den kleinen Bauernhöfen gehören. Dazwischen einige Palmen oder andere Bäume. Zäune ziehen sich entlang der Straße. Kein Urwald ist mehr zu sehen. Der bläuliche Dunst von Bränden liegt über der Landschaft. Sofort fällt uns auf, dass hier kein Müll am Straßenrand liegt. Es kommt nur heiße Luft von draußen in unseren Camper. Wir und die anderen Fahrzeuge müssen oftmals im Slalom fahren, weil die Schlaglöcher auf ganzer Fahrbahnbreite verteilt sind. Schließlich sind wir im Bundesstaat Rondónia, wo sich die leicht hügelige Landschaft mit Rinderweiden und vereinzelten Teichen fortsetzt.

 

Wir starten schon bei Sonnenaufgang zu unserer Fahrt durch den Bundesstaat Rondónia, den wir auf ganzer Länge durchqueren. Morgennebel und Rauch liegt in der Luft und ein umgekippter LKW im Straßengraben. Bei Abuna werden die großen Baumstämme des Urwaldes verarbeitet und viele Menschen leben in einfachen Bretterbehausungen. Die Straße besteht aus einer Ansammlung von bis zu 20 cm tiefen Schlaglöchern, oft auf ganzer Fahrbahnbreite. Wieder ist Slalomfahren angesagt, sonst zerreißt es unser rollendes Zuhause. In den Ortschaften folgen immer wieder hohe Lombadas (Bodenschwellen). Gut, dass hier kaum Verkehr ist. Zwei berittene Vaqueiros, die brasilianischen Cowboys, begleiten eine Jaburi-Herde. Wir erreichen den Rio Madeira, den wir auf der einfachen Ponton-Fähre überqueren. Dichter Rauch liegt weiterhin über der Weidelandschaft des Amazonastieflandes. Wir fühlen uns, als fahren wir durch eine riesige Räucherkammer. Eine überfahrene zwei Meter große Schlange liegt auf der Straße. Überall verbrannte Landschaft. Es ist deprimierend, was hier der Natur angetan wird.

 

Riesige tiefer gelegene Gebiete sind hier abgeholzt. Auf der weiteren Fahrt der in den oberen Bereichen verlaufenden Straße wissen wir auch warum. Hier sollen die Wassermassen des Madeira Hydroelectric Complex gestaut werden. Zwei Dämme werden an den Abläufen errichtet und damit entsteht eines der größten zivilen Ingenieurprojekte der Welt. Als wir weiterfahren, sehen wir auch schon die ersten Seitenarme des Stausees mit Wasser gefüllt und ein erstes einfaches Hotel steht am Ufer. Das wird sicher mal ein riesiges Erholungsgebiet entstehen, auf Kosten der ursprünglichen Natur und im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens. In einem Ort steht eine Menschenmenge um zwei schwer verletzte Mopedfahrer herum. Das Fahrzeug liegt auf der Straße. In der Stadt Porto Velho bringt uns freundlicherweise der Fahrer eines Moped-Taxi zum Hotel Regina. Hier wollen wir übernachten und uns um eine Verschiffung mit einem Bolsa (Ponton-Boot) auf dem Rio Madeira und Rio Amazonas bis nach Manaus kümmern. Von Manaus wollen wir dann mit einem Bolsa auf dem Rio Amazonas weiter nach Belém verschiffen. Aber die Besitzerin des Hotels und ihr Mitarbeiter raten uns ab. Im Amazonas-Tiefland herrsche laut Erkenntnissen der amerikanischen NASA die größte Trockenheit seit vielen Jahren. Der Rio Madeira habe statt der üblichen 12 Meter nur einen Wasserstand von 4 Metern. Dadurch sei die Auffahrtrampe auf das Bolsa sehr steil und wir würden mir unserem Camper hinten aufsetzen. Am Vortag hätten sich Franzosen mit einem ähnlich großen Wohnmobil gegen eine Verschiffung entschieden und seien auf dem Landweg nach Manaus gestartet. Aber diese schlechte Erdpiste wollen wir uns nicht antun.

 

So kommt es mal wieder zu einer Änderung unserer Reisepläne, wie schon einige Male zuvor in Südamerika. Unverändert geht auf der BR-364 es an Weideflächen entlang. Am Spätnachmittag haben wir fast vierzig Grad im Camper. Wir übernachten wie immer auf unseren Überlandfahrten auf einem der Postos, der brasilianischen Raststätten, neben den fast dreißig Meter langen Lastwagen. Über die Straße mit vielen schlecht ausgebesserten Stellen hoppeln wir mit vielen LKW’s, die uns im Nacken sitzen und mit voller Geschwindigkeit drauflos fahren. Hinzu kommen die vielen Lombadas und die Sonadores (hintereinander zehn bis zwanzig quer über die Fahrbahn führende zwei Zentimeter hohe Mini-Schwellen), die unser stabiles RMB-Wohnmobil schütteln. Immer wieder werden die elektronischen Geschwindigkeitskontrollen angekündigt. Erst kurz davor werden die brasilianischen Fahrer kurzzeitig zahm, dann geben sie wieder ordentlich Gas. Die zwei Zentimeter dünne Teerdecke hat sich an vielen Stellen wieder gelöst. Etwa alle hundert Kilometer passieren wir die Kontrollstellen der Policia Rodoviaria Federal (PRF), wo manchmal hunderte konfiszierter Autos und Motorräder stehen. Kontrolliert wird aber fast nie. In Cacaol kommt uns eine wahre Schrott-Klapperkiste entgegen. Sie ist völlig verrostet und hat keine Motorhaube. Am Steuer sitzt ein alter grauhaariger Mann, der etwa das gleiche Alter hat wie sein Auto. Bei einer Petrobras-Tankstelle erhalte ich geschenkt eine zehn Jahre alte Brasilien-Landkarte. Obrigado, sehr freundlich. Jetzt haben wir endlich einen groben Überblick über die Straßen, denn unser Navi von Garmin hat schon lange seinen Geist aufgegeben. Die Landschaft wird noch karger, viele Bäume sind vertrocknet, große Flächen sind total abgebrannt. Kurz vor Vilhena sehen wir erste abgeerntete Maisfelder und die ersten „Streichholzwälder“ mit einheitlich angepflanzten Eukalyptusbäumen und langen dünnen Stämmen.

 

Auf der BR 174 erreichen wir den Bundesstaat Mato Grosso. Die Straße führt entlang riesiger Maisfelder, die von wenig Rest-Urwald umrahmt werden. In tiefer gelegenen Gebieten fliegen große Blau-Rote und Gelb-Grüne Papageien über uns. Wir überqueren den Rio Paraná und später den Rio Cuiabá. Qualm von den verbrannten Flächen liegt wieder in der Luft. Bis zu 800 m Höhe erstreckt sich das Hochland von Brasilien. Baumwollfelder und abgeerntete Getreidefelder bestimmen das eintönige Landschaftsbild. Es herrscht viel LKW-Verkehr. Bei der schlecht geflickten Straße haben wir gar nicht gemerkt, dass wir hinten mal wieder einen Platten haben. Aus unserer inzwischen sechzigtausend Kilometer langen Reise konnten viermal Löcher repariert werden, dreimal hat es Reifen auf den Pisten zerrissen. Immer hinten. Gut, dass wir Doppelbereifung haben. Im Restaurante eines Postos ist ein leckeres Kilo-Buffett angerichtet, bei dem das Essen nach Gewicht bezahlt wird. Im TV wird nicht ein Olympia-Fußballspiel übertragen, sondern mal wieder eine der von uns gefürchteten Tele-Novelas mit dem unerträglichen Minenspiel der Darsteller.

 

Weiter geht unsere Fahrt durch die unansehnliche Landschaft mit Weiden und abgeernteten Getreide-, Mais- und Zuckerrohrfeldern, die sich bis zum Horizont erstrecken. Brasilien ist riiiiiiesig! An den gewaltigen Speichern werden hunderte LKW mit der Ernte entladen. Dann wieder die einheitlich angepflanzten schnell wachsenden Eukalyptuswälder gleicher Baumgröße, die extra für die Zellulose-Produktion angepflanzt wurden. Im Bundesstaat Guiás erreichen wir die Hauptstadt Goiánia in der Dunkelheit und quälen uns durch den wilden Feierabendverkehr. Die Beschilderung Richtung Brasília ist mal wieder unvollständig bzw. nicht vorhanden.

 

Wir müssen in der Hauptstadt Brasília zum Arzt. Nach längerem Suchen finden wir auch ein Hospital, zu dem wir Zutritt bekommen. Tina kommt an den Medikamenten-Tropf und ihr Arm wird geröntgt. Im Stadtpark Parque da Cidade können wir neben der nur zwanzig Meter entfernten Polizeistation übernachten, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Besser geht’s in einer großen Stadt nicht. Immer wieder laufen Leute über den Parkplatz zum Stadtpark, etliche fotografieren unseren Vagabundo. Die meisten Leute haben vor sich ein Smartphone in der Hand, auf das sie ständig blicken. Anscheinend sind sie ferngesteuert und können den Weg und das Ziel sonst nicht finden. Bis zu vier junge Leute gehen nebeneinander und blicken auf ihre Smartphones. Manchmal sprechen sie sogar nebenbei miteinander. Wahrscheinlich über das, was sie auf dem Smartphone sehen. Es wundert uns, dass sie ihre Umwelt ringsherum überhaupt wahrnehmen. Sie befinden sich offensichtlich zumindest zeitweise in einer anderen Welt. Als ich kurz durch den Stadtpark schlendere, stehen hunderte junger Leute auf einem Platz und blicken auf ihre Smartphones. Keiner sagt ein Wort. Wo bin ich hier eigentlich? Startet heute Abend eine Rakete? Landen hier gleich Außerirdische? Findet hier gerade eine Mondfinsternis statt oder schlägt in wenigen Minuten ein Asteroid ein? Steht das Ende der Welt bevor? Ich fühle mich deplatziert. So extreme Smart-Phone-Nutzung habe ich noch nie erlebt. Wie wird die Kommunikation hier in fünf, zehn oder zwanzig Jahren stattfinden?

 

Brasília wurde auf Betreiben des damaligen Präsidenten Kubitschek erst ab 1956 im Zentrum von Brasilien, dem Plano Piloto vollständig errichtet. Am 21. April 1960 wurde Brasília offiziell als Regierungssitz eingeweiht. Rio de Janeiro als bisheriger Regierungssitz war einfach für die Entwicklung des riesigen Landes nicht zentral genug gelegen und bot aufgrund seiner Enge nicht genügend Platz für alle Regierungsgebäude und die vielen ausländischen Botschaften und Wohnraum für die Beschäftigten. Hier wurde also eine völlig neue und moderne Hauptstadt geschaffen mit breiten Avenidas, Regierungsgebäuden, Wohngebäuden und großzügigen Parks. Die Stadt nördlich des Sees Lago Paranoá hat aus der Luft gesehen die Form eines riesigen Vogels oder Flugzeugs. Das Klima hier im auf 1200 Meter Höhe gelegenen Brasília ist im Winter sehr angenehm: Wenig Luftfeuchtigkeit und Temperaturen um 25° Grad. Nachts kühlt es angenehm ab.

 

Eigentlich wollten wir diese große moderne Stadt überhaupt nicht besuchen, weil uns große Städte nicht besonders interessieren. Aber wegen Tinas Schmerzen und wegen eines benötigten Reifens sind wir hier nun doch gelandet. So ändern sich unsere Reisepläne also immer wieder. Über dreihundert Kilometer fahren wir mit unserem Piaggio Motorroller im dichten Verkehr durch Brasília. Auf der sechsspurigen Eixo Monumental staut sich immer wieder der Verkehr und wir quetschen uns brasilianisch knapp zwischen den stehenden Autos hindurch. So schnell wie wir kommt kein Auto voran. Entlang des vierzig Kilometer langen Lago Paranoá befinden sich die Botschaften der ausländischen Staaten, aber auch viele teure Villen der superreichen Brasilianer mit gepflegten Außenanlagen. Sie sind geschützt durch riesige Mauern, auf denen scharfe Stacheldrahtrollen verlegt oder Elektrozäune angebracht sind. Zusätzlich erfassen Kameras das Geschehen an der Grundstücksgrenze. Als wir langsam durch die Seitenstraßen rollern, kläffen uns gleich mehrere Rottweiler von den Millionärsgrundstücken an. Hier haben also die wohlhabenden Brasilianer ihr geschütztes Reich, weit abseits der Armut im Land. Die Frage ist, wer sich glücklicher und zufriedener fühlt. Brasilien ist ein reiches, armes Land voller extremer Gegensätze.

 

Hier am See sind die Grundstücke vieler Clubs mit gepflegten Rasenanlagen, Tennisplätzen, Fußballplätzen und anderen Sport- und Freizeitanlagen. Es lebt sich wirklich nicht schlecht hier für die Angestellten der Behörden und die Mitarbeiter großer Firmen. Am Pontao do Sul ist eine Promenade am See entlang angelegt worden mit gepflegten Rasenanlagen, Palmen, Restaurants, Bars, Eisdielen und Kiosken. Heute am Sonntag genießen viele Einwohner Brasílias diese nette Atmosphäre. Sie schlendern am See entlang und ….. und…. und was machen sie? Viele haben vor sich ihr Smartphone und blicken darauf, die ganze Zeit. Nur kurz unterhalten sie sich zwischendurch, dann wieder der unwiderstehliche Blick auf dieses kleine Ding da vor sich. Wir wundern uns, dass diese Menschen nicht stolpern. Aber wahrscheinlich ist der Verlauf der Wege und Treppen auf den Smartphones genau zu erkennen. Andere genießen den blauen Himmel, den Sonnenschein, den blau schimmernden See, die Palmen. Von der Surf Bar beobachten wir bei einer kühlen Guaraná die flanierenden Menschen, die aktiven Ruderer, die stolzen Milionarios auf ihren nah am Ufer vorbeiziehenden Yachten und die düsenden Jet Skis. In der Ferne sehen wir auf dem Hügel den TV Tower. Es ist sehr angenehm hier, Brasilia beginnt uns zu gefallen. Im Estadio Nacional de Brasília Mané Garrincha sehen wir das Olympia-Fußballspiel der Frauen zwischen Deutschland und Kanada. Vom TV-Tower haben wir einen schönen Rundum-Blick auf die Hauptstadt mit der Straße Eixo Monumental, den Regierungsgebäuden, Ministerien und dem Parlament bis zum Lago Paranoá. Außerdem auf den Hotelbezirk, das Estadio Nacional de Brasília, die nördlichen Stadtbereiche und den Parque da Cidade, den größten Stadtpark der Welt.

 

Beeindruckend ist die Architektur vieler Gebäude in Brasília, für die maßgeblich der deutschstämmige Architekt Oscar Niemeyer verantwortlich war. Wir besuchen die Catedral Metropolitana de Brasília und fahren weiter zur Praca dos Tres Poderes. Rund um den Platz der drei Gewalten besichtigen wir das Supremo Tribunal Federal, den Congreso Nacional und den Palacio do Planalto. Außerdem das Museu da Cidade und daneben die Pira da Pátria, an der in hundert Meter Höhe die riesige brasilianische Flagge aufgehängt ist. Im Norden des Zentrums steht das Memorial JK, das zu Ehren des verstorbenen Präsidenten Juscelino Kubitschek errichtet wurde. Wenn man alle diese beeindruckenden Gebäude sieht, möchte man meinen, Brasilien ist ein hochmodernes Land. Das ist auch so gewollt und stimmt zum großen Teil. Aber die gewaltigen Probleme mit viel Armut in weiten Teilen des Landes sind hier weit weg. In dieser Stadt leben hauptsächlich Regierungsangestellte und Menschen, die an diesem Regierungssitz verdienen können. Und ihnen geht es sehr gut, was man an den vielen modernen Autos, Villen und Apartments sowie unendlichen Freizeitmöglichkeiten sieht.

 

Wir verlassen den Destrito Federal von Brasília und kommen auf holpriger Straße wieder in den Bundesstaat Goiás. Durch mit Büschen bewachsenes, vertrocknetes Gebiet mit Viehweiden überqueren wir den breiten Rio Sao Marcos und sind jetzt im Bundesstaat Minas Gerais. Es folgen Brandrodungen und Bergbau bei Paracatu. Hier zählen wir bei der Ortsdurchfahrt dreizehn Lombadas (Straßenschwellen). Brasilien ist eben ein Schwellen-Land, in doppelter Hinsicht. Anscheinend sind die Brasilianer als Landsleute des Formel 1-Rennfahrers Felipe Massa nicht anders zu überzeugen, Geschwindigkeitsbeschränkungen einzuhalten. Am Berg eine Kurve, auf der Fahrbahn eine doppelt durchgezogene Linie. Kein Problem für den LKW-Fahrer, der uns auf unserer Spur entgegen kommt. Schnell rüber auf den Seitenstreifen, sonst ist die Reise für uns hier zu Ende. Rücksicht auf den Straßen ist in Brasilien ein Fremdwort. Hat der noch alle Tassen im Schrank?

 

Im Internet findet man einen früheren brasilianischen TV-Bericht von Record über eine durchgeführte Polizeikontrolle: „40 % der Fernfahrer waren gedopt mit Kokain, weitere 15 % mit Aufputschmittel. Alles, um wach zu bleiben. Es wurde ein Fernfahrer gezeigt, der drei Tage nicht mehr geschlafen hat und immer am Steuer saß. Er hatte Neufahrzeuge im Wert von 900.000 Reales geladen. Allein im Bundesstaat Goiás kamen in einem Jahr über dreihundert Fernfahrer ums Leben. Ausreden der Fahrer: 1. Termine einhalten; 2. Prämien mitnehmen, wenn besonders schnell die Strecke abgespult wird. Das sind fahrende Zeitbomben mit in der Regel 40 Tonnen unter dem Hintern. Da nützt nicht mehr einmal beten, wenn so ein Ungetüm dich zerquetscht.“

 

Am anstrengendsten ist allerdings das Fahren auf diesen schlechten Straßen mit dem Erkennen und Umfahren der Schlaglöcher. Nachdem wir den breiten Rio Sao Francisco überquert haben, kommen wir an den ersten großen Bananenplantagen vorbei. Wieder folgen sechzig Kilometer mit saumäßigen Ausbesserungen und Spurrillen. Das ist wirklich der Gipfel der straßenbaulichen Unfähigkeiten, eine Zumutung für jeden Autofahrer. Teerwulste, Schlaglöcher und Querrillen, das ganze Programm. Wir sehnen uns nach der Piste der Carretera Austral zurück. Der Anblick der riesigen in Reih‘ und Glied angepflanzten Eukalyptuswälder ist für uns als Liebhaber der ursprünglichen Natur nicht zu ertragen. Jetzt fällt uns auch Müll am Straßenrand auf, der passt zur Straße. Als wir eine Pause machen, bebt die Straße regelrecht, während die schweren Lastwagen über die Holperstrecke poltern. So eine schlechte Straße zu bauen ist schon eine hohe Kunst. Schlaglöcher, so groß wie von Granat-Einschlägen. Oder hat der dritte Weltkrieg schon begonnen? Mitten auf der Piste stehen Männer mit einer Schubkarre und Schaufeln. Sie haben vereinzelt roten Sand in die Schlaglöcher gefüllt und wollen von den Autofahrern einen Obolus in ihre hingehaltenen Mützen. Ich nenne diese Straße „Estrada de Emergencia“, Straße des Notfalls. Andererseits wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass große Strecken von Acre bis Minas Gerais gut geteert und problemlos zu befahren sind.

 

Kurvig geht es im Bundesstaat Minas Gerais bergauf und bergab weiter durch menschenleere Gebiete. LKW-Fahrer überholen wieder im Überholverbot rücksichtslos im festen Glauben, dass die Entgegenkommenden schon Platz machen. Ein LKW kommt uns auf unserer Spur entgegen und warnt mit Lichthupe, dass wir uns gefälligst auf den Seitenstreifen verdrücken sollen. Warum reitet dieser Flachkopf nicht auf einem Esel neben der Straße? Danach überholt uns ein 30-Meter-Ungetüm auf zweispuriger Straße trotz entgegenkommendem LKW, so dass wir uns zur Seite retten müssen. Dann sind wir im Bundesstaat Bahia.

 

Fortsetzung siehe unter Brasilien 10 - Bahia