Peru 1
Vom Titicacasee bis Cusco und Machu Picchu
Fortsetzung von Bolivien 6
14.10. bis 20.11.2015
Die Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.
Hinter Copacabana sind die Formalitäten am kleinen bolivianisch-peruanischen Grenzübergang nach einer knappen Stunde erledigt. Der bolivianische Grenzbeamte trägt uns in sein dickes Buch ein. Dann fragt er nach Geld und reibt seinen Daumen am Zeigefinger. Aber wir können einfach nicht verstehen was er will, bedanken uns und verlassen den Raum. Ein Zöllner der peruanischen SUNAT füllt die gesonderten Formulare für die Fahrzeuge aus. Auch in Peru tragen die Indigena-Frauen ihre Trachten. Die Adobe-Häuser in ihrer Einfachheit mit Blechdächern unterscheiden sich auch nicht wesentlich von denen in Bolivien. Die Menschen arbeiten auf den Feldern, die oft durch Steinmauern begrenzt werden. Daneben Esel, Lamas, Schafe in der kargen Gegend. Auf der Ruta 35 fahren wir am Titicacasee und an der Bucht von Puno entlang. Omar, der Besitzer des Restaurants El Astillero de Huajje lädt uns ein, unser RMB Wohnmobil im Innenhof seines Restaurants zu parken.
Mit dem Motorroller fahren wir 36 km nach Sillustani. Die letzten 20 km führen sehr schön durch hügelige Landschaft auf kaum befahrener Landstraße. Es geht vorbei an traditionell aus Naturstein gebauten Häusern mit Mauern um den Hof herum und bemalten kleinen Ochsenskulpturen aus Ton über den Eingängen. Ein Mann zeigt mir stolz sein Haus mit der sauberen zu vermietenden Cabana und dem uralten kleinen Ofen, der mit Lama-Dung befeuert wird. Nebenan füttert er eine ganze Anzahl von Meerschweinchen, die er für umgerechnet 1 € pro Stück als Delikatesse an Restaurants verkauft. Der Zugang zu den historischen Stätten von Sillustani ist gepflastert und sauber. Auch einige Souvenirstände sind aufgebaut. Über zwei Stunden laufen wir umher und besichtigen bei schönem Wetter die ungewöhnlichen, auf großen Steinen gebauten Chullpas (Grabtürme) von Sillustani. Ein Café hat geöffnet, aber keine Stühle und Tische aufgestellt. Und Kaffee haben sie auch nicht, südamerikanische Mentalität eben.
Auf der Weiterfahrt nach Norden passieren wir die flachen Gebiete, über die sich früher der Titicacasee noch erstreckte. Nach 50 km erreichen wir Juliaca. Es ist eine hässliche Stadt mit vielen schlaglochübersäten Erdstraßen, die bei Trockenheit nur noch staubig sind. Viele Marktstände verteilen sich dort und Tuck-Tucks knattern umher. Die Straße steigt an in die Cordillera Vilcanota zum Abra La Raya auf 4312 m und führt dann ständig bergab nach Cusco auf 3400 m.
Cusco
In dieser Stadt genießen wir auf der Plaza die Atmosphäre der Kolonialzeit, umgeben von der Kathedrale und anderen historischen Gebäuden. Wir spazieren durch die Gassen des Zentrums und besichtigen die Iglesia y Convento Santo Domingo, mit ihrem von Arkaden umgebenen Innenhof. Das Erdbeben von 1950 legte an dieser Stelle zur Überraschung und Freude der Archäologen die Überreste des ehemaligen Sonnenheiligtums Qoricancha frei. Wir besichtigen die alten Tempelmauern, die mit ihren 82 cm breiten exakt behauenen Steinen architektonisch unglaublich genau und mit Bolzen und Zapfen versehen sind. Wir gehen durch den Kreuzgang mit interessanten großen Gemälden und weiter zum Sternentempel, Mondtempel und Sonnentempel. An der Plaza lauschen wir der Musikkapelle vor der Kathedrale und beobachten die Tänze traditionell gekleideter Indigenas. Später fahren wir weiter über die Berge und dann in das Urubamba-Tal hinunter.
Der lange Marsch nach Machu Picchu
Gestern haben wir die Nachricht erhalten, dass heute und morgen die Bahnstrecke Cusco - Ollantaytambo – Aguas Calientes blockiert wird. Beteiligen werden sich auch die Taxis, Busse und Colectivos. Man protestiert so gegen die geplante Privatisierung archäologischer Stätten. Na bravo! Immerhin haben wir für die Bahnfahrt 250 € und Eintritt Machu Picchu 160 € bereits bezahlt und das Hotelzimmer ist reserviert. Unsere Tochter Melanie und ihr Freund Tim haben sich entschieden, zu Fuß an der Bahnstrecke entlang nach Aguas Calientes zu wandern. Auch ich werde mit ihnen gehen.
Um 6 Uhr stehen wir drei auf und gehen mit kleinen Tagesrucksäcken in der Dunkelheit zur Plaza. Von dort wollen wir uns mit dem Taxi einige Kilometer Richtung Westen bringen lassen, bevor die Blockade wirksam wird. Doch die meisten lehnen ab. Schließlich finden wir in einer Straße doch einen Taxifahrer. Er fährt uns bei Anbrechen des Tages mit tief heruntergezogener Mütze (damit ihn niemand erkennt) durch den Ort und ein paar Kilometer abwärts in das Urubamba-Tal. Dort müssen wir aber schon bald aussteigen, weil ein Erdrutsch einen Teil der Piste in Richtung Fluss gespült hat. Von nun an gehen wir zu Fuß auf dem geschotterten Weg entlang an den fruchtbaren Maisfeldern, Agaven, Eukalyptusbäumen und den einfachen Häusern der Bauern. Die ersten Sonnenstrahlen scheinen auf die Ausläufer der Cordillera Vilcabamba, doch die meisten Berge sind noch in Wolken gehüllt. Unten im Tal sehen wir den noch gemächlich dahinfließenden Urubamba-Fluss, an dessen erhöhtem Ufer sich die Eisenbahnlinie entlangwindet. Auf der anderen Uferseite sind immer wieder Geröllfelder zu erkennen, die von den steilen Bergen herabgestürzt sind. Die Sonne hat nun auch das Valle Sagrada, das heilige Tal, erreicht. Wir erkennen mehrere Zeltlager, die von jungen Touristen bewohnt werden und diese wahrscheinlich als Basislager für die Wanderung auf dem Inka-Trail nutzen.
Nach 9 km erreichen wir die Bahnstation bei km 82, wo die Brücke über den Fluss führt und der Inka Trail beginnt. Wir werden von zwei Bahnbediensteten darauf hingewiesen, dass das Begehen der Bahnstrecke gefährlich ist. Üblicherweise wird man wohl hier am Weitergehen gehindert. Aber heute fährt ja keine Bahn. Auf der anderen Seite des Tales bringen peruanische Lastenträger riesige Säcke mit der Ausrüstung und Verpflegung der Touristen auf dem Inca-Trail bergan, während wir kaum merklich abwärts an der Bahnlinie entlanggehen. Die alte Inkasiedlung Salapunku macht deutlich, dass auch durch dieses Tal ein Weg der Inka zu weiteren Siedlungen führte. Wir laufen zwischen und neben den Bahnschienen auf den fast faustgroßen Steinen, passieren die Ruinen einer weiteren Inka-Siedlung rechts des Weges und blicken hinunter zum immer wilder werdenden Rio Urubamba. Am Ufer erkennen wir wieder einmal Mauern der Terrassen, auf denen die Inka Getreide, Kartoffeln und Gemüse angebaut haben und die heute nicht mehr genutzt werden. Durch kurze aber dunkle Tunnel tasten wir uns weiter unserem Ziel entgegen. Doch das liegt noch weit entfernt, irgendwo hinter den Bergen.
Es ist inzwischen sehr warm geworden, als wir hinüber auf die Hänge der anderen Talseite zu einer weiteren Inka-Festung blicken. Nun kommen uns auf der Bahnstrecke die ersten Lastenträger entgegen, bepackt mit einfachen Plastikbündeln, die sie um ihre Schultern gewickelt haben. Andere tragen größere 30 kg schwere Rucksäcke. Viele tragen ihr Gepäck im Laufschritt und schwitzen stark. Was für eine Leistung! Einige haben dicke Backen von den Coca-Blättern, deren Genuss die Qualen erträglicher machen. Wir sehen niemanden bei einer Rast, auch das Essen wird im Laufschritt eingenommen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Träger treiben sich gegenseitig an. Jeder will der Schnellste sein und natürlich möglichst viel verdienen. Nur wenige haben stabile Stiefel an, viele laufen in Turnschuhen, andere sogar in dünnen Ledersandalen wie einst ihre indianischen Vorfahren. Diese Lastenträger, nicht die Touristen mit ihren Tagesrucksäcken, sind die wahren Wanderer des Inka-Trails, und das leicht aufwärts. Die Grabstellen eines uralten Friedhofs an den steilen Felswänden an der Bahnstrecke sind bunt geschmückt. Ab und zu können wir, wie es die Lastenträger tun, die Bahnstrecke verlassen und auf Pfaden über Bauerngrundstücke eine Abkürzung nehmen. Diese Wege führen dann auch an kleinen Coca-Feldern vorbei. Bei Pampacahua haben wir zwanzig Kilometer hinter uns. Wir gehen fast nur in der Sonne und es wird immer wärmer. Immer wieder kommen uns Lastenträger entgegen, darunter auch ältere Männer mit schwerem Gepäck. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen für eine Vesper. Immer noch über zehn Kilometer zu laufen. Ich gehe schon langsamer, spüre meine Beine. Auf einer sattgrünen Wiese grasen mehrere Pferde.
Die Vegetation wird immer üppiger. Dunkler, subtropischer Wald erstreckt sich aus dem Tal die steilen Hänge hinauf. Pflanzen schlingen sich an den Bäumen empor. Orange-schwarze Schmetterlinge flattern umher und machen auf den Eisenbahnschienen Rast. Die Bahnlinie führt wieder durch Tunnel und direkt an den steil aufragenden Felsen vorbei. Einfache Holzhütten stehen an Maisfeldern und Bananenstauden. Kleine Pfade führen zu anderen Hütten in dichtem Urwald. Wieder Inka-Ruinen und Terrassen auf der anderen Talseite an den üppig grünen Bergen. Der Fluss und die Bahnstrecke schlängeln sich immer wieder um hohe Berge herum. Fünf Kilometer vor unserem Ziel erzwinge ich bei Melanie und Tim die schon lange angekündigte letzte Pause. Wir trinken unser restliches Wasser aus und wollen dann weiter gehen. Doch ich komme kaum hoch und schleiche besonders die ersten Meter im Tempo einer Schildkröte. Die Oberschenkel sind total hart und müde vom Bahnstrecken-Geröll. Kurze Zeit später bellen große Hunde von einem angrenzenden Grundstück. Ein Hund kommt aggressiv auf mich zugelaufen. Als er kurz vor mir ist, bücke ich mich und werfe einige Steine auf ihn. Einer trifft ihn am Kopf. Ich wusste gar nicht, dass ich mich noch bücken kann. Dann gehen wir laaaaangsam weiter. Nur Tim, dem durchtrainierten Handballer, scheint das alles nichts auszumachen. Ich hätte nicht gedacht, dass mich hier eine so lange Wanderung erwartet. Hatte doch eigentlich eine gemütliche Bahnfahrt gebucht.
Endlich tauchen vor uns die ersten Häuser von Aguas Calientes auf. Der Ort liegt in einem engen Tal, umgeben von steil aufragenden dicht mit subtropischen Urwald bewachsenen Bergen. Wir haben auf 38 km einen Höhenunterschied von 800 m hinter uns gebracht. Abwärts, aber kaum merklich. Bei der Bahnstation sind die Eisentore verschlossen und davor stehen etwa hundert Menschen und demonstrieren lautstark gegen die geplante Privatisierung weiterer archäologischer Stätten. Peruanische Fahnen und Regenbogenfahnen der Indios wehen. Wir schleichen weiter und erreichen das Hotel Inca Inn, wo wir zwei Zimmer gemietet haben. Dann falle ich in einen tiefen unruhigen Schlaf. Ich glaube nicht, dass ich morgen noch einen Meter gehen kann. Aber vielleicht bringt mich dann jemand im Rollstuhl rauf nach Machu Picchu.
Es ist noch dunkel, als wir frühzeitig zur Abfahrtsstation der Busse nach Machu Picchu gehen. Ja, wirklich, ich kann wieder gehen. Die Hot-Stone-Massage und das Einreiben mit Diclofenac gestern haben sich positiv bemerkbar gemacht. Ein moderner Bus bringt mich mit den anderen Touristen hinauf nach Machu Picchu auf 2.500 m. Einen Vorteil hat ja die Blockade: Statt der üblichen 2500 Besucher sind heute nur 1000 hier oben.
Und dann bietet sich uns ein phantastischer Blick auf die Ruinen von Machu Picchu unter einem wolkenlosen Himmel. Schon bald blinzeln die ersten Sonnenstrahlen über die Berge und tauchen die Inka-Siedlung in ein weiches Licht. Das Beeindruckendste für mich ist die unvergleichliche Lage dieser Inka-Siedlung auf dem Hügel mit den umliegenden über 4000 m aufragenden Bergen der Cordillera Vilcabamba. Als ich die schmale Treppe hinaufgehe, kommt mir ein Lama entgegen und stellt sich direkt vor mir auf. Kurz danach kommt ein Junges und saugt minutenlang am Euter der Mutter. Ich muss mich an den beiden vorbeiquetschen. Einerseits will ich nicht von der Treppe seitlich herunterfallen, anderseits den beiden nicht zu nahe kommen und bespuckt werden. Die Zahl der Besucher hält sich heute wirklich in Grenzen. Fast eine Million Touristen besuchen jedes Jahr Machu Picchu und haben allein durch das Betreten der Anlage mehr zugesetzt, als Mensch und Natur in 500 Jahren zuvor.
Ich wandere noch ein Stück weiter nach oben, durch den dichten niedrigen Wald und auf einem schmalen Pfad, der direkt am steilen Fels entlang führt. Dann blicke ich auf eine mehrere hundert Meter senkrechte Felswand, an der die Inkas eine Brücke errichtet haben. Wo heute drei Meter lange Holzbalken die Brücke markieren, bildete früher eine Hängebrücke den zweiten Zugang zu Machu Picchu. Im Palastviertel beim Sonnentempel treffe ich Melanie und Tim wieder, die von einer eindrucksvollen Besteigung des 300 m höheren Wayna Picchu berichten. Gemeinsam spazieren wir in der Hitze weiter zum Hauptpalast mit seinen riesigen millimetergenau aufeinandergesetzten Steinblöcken. Nebenan der Tempel der drei Fenster, durch deren Öffnungen wir auf die wunderbare grüne Berglandschaft im Osten blicken können.
Dann wandern wir weiter zum Heiligen Platz, mit dem Intihuatana, dem wichtigsten Heiligtum von Machu Picchu. Der Sonnenanker oder „Felsen, an dem die Sonne angebunden ist“ diente astronomischen Zwecken. Mit Hilfe dieses Sonnenobservatoriums konnten die Astronomen der Inkas den Lauf der Sonne und der Planeten, die Tageszeit und die Tage der Winter- und Sommersonnenwende bestimmen. Letztere gaben ihnen Auskunft über den Beginn der Regenzeit und somit den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat. Ich schlendere durch das Wohnviertel, das Viertel der Handwerker, das Viertel der Mörser und das Gefängnisviertel.
Unten in Aguas Calientes können wir wegen der Blockade erst spätabends in den Zug von Inca Rail einsteigen und kommen nach Mitternacht in Ollantaytambo an.
Fortsetzung siehe unter Peru 2.