Argentinien 10
Provinz Santa Cruz bis Provinz Mendoza
Vom 1. bis 15. Mai 2016
Fortsetzung von Bericht Chile 6
Die Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.
Direkt an der Grenzstation in der trostlosen Pampa läuft ein Fuchs über die Piste. Hier sagen sich anscheinend Fuchs und Hase gute Nacht. Wir hoffen, wir haben die Beamten nicht zu sehr gestört. Immerhin waren wir am frühen Nachmittag die ersten Einreisenden heute, das stresst. Bei El Cerrito (1 Haus) übernachten wir auf dem Gelände des Puesto. Nach 10° Grad Minus wird das Kühlwasser bei der Fahrt schnell heiß und wir drehen um. Ist der Thermostat defekt, oder die Wasserpumpe? Ich will mir Rat bei Automechanikern in Deutschland einholen, aber wir haben hier kein Handy-Netz. Also entschließe ich mich, mit dem Motorroller in der morgendlichen Kälte hundert Kilometer durch die einsame Pampa bis nach El Calafate zu fahren, um zu telefonieren. Nach fast eineinhalb Stunden erreiche ich den Touristenort El Calafate und telefoniere mit Deutschland. Nach etwa vierzig Kilometern bei der Rückfahrt kommt der Roller hinten ins Schlingern. Ich halte am Straßenrand und stelle fest, dass ich hinten einen platten Reifen habe. Ich schiebe den Roller erstmal in den Graben und bedecke ihn mit Wüstenbüschen. Nach langem Warten fahre ich mit dem Linienbus zurück zu unserem RMB-Wohnmobil. Ich mache einen Test und das Kühlwasser wird nicht mehr heiß. Anscheinend war das Kühlwasser am Thermostat eingefroren und ist inzwischen aufgetaut. Die letzten Mechaniker von Mercedes-Kaufmann in Chile haben anscheinend nicht genügend Kühlmittel aufgefüllt.
Wir holen den Roller ab und weiter geht’s nach El Calafate, das wir bei Anbruch der Dunkelheit erreichen. El Calafate liegt direkt am Südufer des Lago Argentino. Doppelt so groß wie der Bodensee ist er ein typischer Gletschersee, der vom milchig-trüben Wasser der patagonischen Anden gespeist wird. El Calafate hat heute 20.000 Einwohner und jedes Jahr kommen 250.000 Touristen, um von hier aus den Perito Moreno Gletscher zu besuchen. Gut, dass wir jetzt außerhalb der Nachsaison hier sind. Bei der Tourist-Information sind vier von fünf Auskünften falsch, das ist nichts Neues. Am nördlichen Stadtrand blicken wir auf die Laguna Nimez, wo wir viele Zug- und Wasservögel, darunter etliche rosa Flamingos im flachen Wasser beobachten können. Wir fahren weiter nach Punta Bandera. In der Dunkelheit laufen immer wieder Pampahasen im Zickzack hin und her. Kein Wunder, dass viele plattgefahren wurden.
Wir haben einen 5-Sterne-Blick aus unserem Vagabundo, als die Sonne nach der eiskalten Nacht über dem Lago Argentino orange leuchtend aufgeht und die rostroten Bäume, Sträucher und die gletscherbedeckten Berge in warmes Licht taucht. Wir fahren zum Parque Nacional Los Glaciares, an den Nordhängen des Lago Argentino entlang, die zum Teil von herbstlich gefärbten Lenga- und Nires-Wäldern gesäumt sind. Schon am Parkeingang wurden wir gewarnt, dass die Straße eisglatt sein kann. Und tatsächlich muss ich höllisch aufpassen, besonders in den Senken und an geschützten Stellen, wo Raureif und pures Eis die Straße auf beiden Seiten bedeckt. Der Camper rutscht schon in Schrittgeschwindigkeit. Bei wolkenlosem, stahlblauem Himmel blicken wir von verschiedenen Aussichtspunkten auf den riesigen Glaciar Perito Moreno. Ein unvergessliches Erlebnis. Vom gewaltigen 13.000 km² großen südlichen patagonischen Eisfeld reicht die Zunge des Perito Moreno Gletschers über eine unglaubliche Länge von sechzig Kilometern und auf einer Breite von sechs Kilometern bis in das Tal. Mit einer Geschwindigkeit von vierzig Zentimetern pro Tag „fließt“ der Gletscher zum Lago Argentino. Bei toller Fernsicht können wir von dem Gipfeln des Eisfeldes bis zu den senkrechten Eiswänden im See blicken. Die sechzig Meter hohen Eiswände brechen manchmal ab, fallen mit Grollen und Getöse in den See und erzeugen dabei gewaltige Wellen. Ein beeindruckendes Naturschauspiel, das wir jetzt in der Nachsaison mit nur wenigen anderen Touristen teilen müssen. Im milchig-türkis-blauen Wasser schwimmen Eisberge.
Auf der Weiterfahrt zum Nordteil des Parks überqueren wir die breiten türkisgrünen Rio Santa Cruz und Rio La Leona. Auf der einsamen RP-23 fahren wir dann durch die sandfarbende Mesa neunzig Kilometer zunächst unten am Lago Viedma entlang und weiter ständig Richtung Westen auf die Anden zu. Die Silhouette des Fitz Roy, des Cerro Torre und der anderen Berge mit vielen Zacken ist ein imposanter Anblick, insbesondere mit der goldgelb leuchtenden Sonne dahinter. Wenig später erreichen wir den Nordteil des Parque Nacional Los Glaciares, dessen Attraktion die eben genannten Berge sind. Der Ort El Chaltén liegt zu Füßen dieser Bergwunder, die zu den erhabensten der argentinischen Anden gehört. Er gilt mit seinen nur zweitausend Einwohnern als Trekking-Hauptstadt Argentiniens. Elitekletterer und Wanderlustige aus aller Welt nutzen El Chaltén als Ausgangspunkt für ihre Touren. Der Ort gehört ebenso wie El Calafate zu den teuersten Orten in Südamerika. Cerro Fitz Roy (3445 m), Cerro Torre (3128 m) und die anderen Gipfel präsentieren sich im Schein der ersten Morgensonne in großartigen Farben. Welch‘ ein Anblick direkt von unserem Wohnmobil aus. Die Tehuelche-Indianer nannten den späteren Fitz Roy „Feuergipfel“ oder „rauchender Berg“, denn die meiste Zeit des Jahres sind die Berge hier wolkenverhangen und sturmumzaust. Wir besichtigen die kleine Kapelle, die am Ortsrand von österreichischen Handwerkern zu Ehren des Kletterspezialisten Toni Egger errichtet wurde. Eine Gedenktafel erinnert an ihn und die anderen in den Bergen tödlich verunglückten Bergsteiger.
Wir wandern zunächst durch Steppenvegetation, dann durch Südbuchenwälder zum Mirador Cerro Torre. Von dort haben wir einen phantastischen Blick hinunter in das Tal des Rio Fitz Roy, in dem sich rot leuchtende Lenga- und Nires-Wälder ausbreiten. Dahinter erhebt sich eine imposante Gebirgskette, die vom alles überragenden Cerro Torre gekrönt wird. Bergsteiger, die erstmals den Fitz Roy bestiegen haben und zum Cerro Torre hinüber blickten, haben ihn als „unmöglichen Berg“ bezeichnet. Im Jahre 1959 versuchten der Österreicher Toni Egger und der Italiener Cesare Maestri, diesen schlanken, fast senkrechten Granitobelisken zu bezwingen. Toni Egger kam beim Abstieg ums Leben und Cesare Maestri behauptete, dass sie den in Eis gehüllten Cerro Torre bezwungen hätten. Von vielen Experten wird dies allerdings bis heute bezweifelt. Als wir vom Aussichtspunkt diesen steilen Riesen wolkenfrei vor uns sehen, können wir alle Bergsteiger nur bewundern, die es überhaupt versuchen, unter unsäglichen Strapazen und bei widrigen Wetterverhältnissen an dieser Wand empor zu steigen.
Das nun einsetzende schlechte Wetter ist für uns der richtige Zeitpunkt zum Aufbruch nach Norden, wo wir in Mendoza auf warmes, sonniges Wetter wie im Vorjahr hoffen. Eine weite Reise durch die unendliche trostlose Pampa steht uns bevor. Die Wolken vor uns werden bedrohlich dunkel, doch zum Glück wird die Erdpiste nicht zu Schlamm. Auf der nun asphaltierten Ruta Cuarenta laufen mehrfach kurz vor uns Guanakos über die Straße. Nachdem wir bereits etliche Ölförderpumpen in der Pampa sehen, erreichen wir den hässlichen Öl-Raffinerie-Ort Las Heras, der sich schon vorher am in der Landschaft herumliegenden Zivilisationsmüll ankündigte. Ärmliche Blechbuden stehen zwischen Schrott. Caleta Olivia an der Atlantikküste ist genauso ein Dreck-Nest. Ein großes Schild weist auf Camping Gerald hin, direkt neben der riesigen Müllkippe, dessen Zeug durch den Wind überall in der Gegend verteilt wird. Bloß raus hier, aber zuerst müssen wir wieder einige Straßenschwellen (Lomo de Burros) überwinden. Ja, die Dinger können sie bauen, und Denkmäler. Mit dem Beton hätten sie lieber mal die Schlaglöcher füllen sollen. Eine Station, die unsere leere Gasflasche auffüllt, suchen wir nun schon seit zweitausend Kilometern vergebens und wir werden wohl erst nach weiteren zweitausend Kilometern bei Mendoza erfolgreich sein.
In Trelew besuchen wir das sehr interessante Museo de Paleontología Egidio Feruglio (MEF). Hier werden 1700 wertvolle Fossilien der Pflanzen- und Tierwelt der Saurierzeit auf beeindruckende Weise professionell präsentiert. Dieses Museum braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Lebensgroße Sauriermodelle sind wirkungsvoll aufgestellt und originale Knochen von Dinosauriern können wir sogar anfassen. Die Asphalt-Decken der Straßen hier im Osten manchmal gut, aber immer wieder in schlechtem Zustand, ganz im Gegensatz zu den Straßen an den Ausläufern der Anden. Die weite menschenleere Pampa zeigt sich hier recht grün, erst im Delta des Rio Negro sorgen fruchtbare Böden für Zivilisation.
Weiter nördlich muss es in den letzten zwei, drei Tagen viel geregnet haben: Matsch und viele riesige Pfützen. Regenwasserkanäle kennt man in Argentinien sowieso nicht, hier soll alles irgendwie über der Erde abfließen. Wir sind nun in der Provinz Mendoza und es folgt die erwartete Frucht- und Gemüsekontrolle. An die regelmäßigen aber korrekten Polizeikontrollen in Lande haben wir uns schon gewöhnt. Bei San Rafael fahren wir vorbei an unübersehbaren Weinfeldern, Obstplantagen und Olivenhainen. Eine uralte rostige Citroen-Ente schleppt eine andere uralte rostige Citroen-Ente ab. Zusammen bringen sie bestimmt ein Alter von 100 Jahren zusammen. Sie passen zu den vielen alten Renaults und amerikanischen Modellen. Wir erreichen den Großraum von Mendoza. Als wir zu einer großen Brücke kommen, befindet sich an deren Anfang und auf ganzer Straßenbreite ein 20 cm breites und 10 cm tiefes Loch. Keine Chance, der ganze Camper wird mächtig erschüttert. und das am Armaturenbrett befestigte Navi fliegt uns mal wieder entgegen. Auf dem breiten Mittelstreifen der vierspurigen Autobahn wird gebrutzelt.
In Lujan de Cuyo können wir endlich beide Gasflaschen auffüllen und einige andere Dinge erledigen. Es gibt keine Briefkästen, also gehe ich zum Postamt. Dort steht hinter der verschlossenen Glastür der einzige Briefkasten von Lujan de Cuyo. Ich stecke die Postkarten durch den schmalen Schlitz der Glastür in der Hoffnung, dass einer der Angestellten sie am Montag in den Briefkasten wirft. Auf dem Camping „Vinas des Vieytes“ nutzen wir Strom und Tina backt mal wieder einige leckere Brote. In Mendoza gibt es nur 15 Regentage pro Jahr. Und die sind anscheinend – jetzt. Der Wetterbericht zeigt ganz Argentinien unter einer grauen Wolkendecke, auch für die nächsten zehn Tage. Auf der RN-7 fahren wir entlang des Rio Mendoza in die Anden Richtung Chile. Über Umleitungen wegen gewaltiger Erdrutsche und durch mehrere Tunnel passieren wir die rostroten Berge. Dann sehen wir die ersten schneebedecken Gipfel der Anden.
In Uspallata übernachten wir, weil die Straße hinter dem Grenztunnel auf chilenischer Seite wegen Erdrutschen gesperrt ist. Am nächsten Tag geht es langsam hinauf Richtung Las Cuevas in die schroffe Gebirgswelt durch viele Tunnel. Bei 3070 m haben wir die Schneegrenze erreicht und fahren durch den Túnel Cristo Redentor nach Chile.
Fazit: Argentinien wird uns als ein Land in Erinnerung bleiben, bei dem die großartigen Landschaften in starkem Kontrast stehen zu den – bis auf wenige Ausnahmen - gesichtslosen Städten und Dörfern. Auffällig war das starke Gefälle zwischen Arm und Reich. Die Menschen waren uns gegenüber freundlich, als Autofahrer gemäßigt, aber in bestimmten Situationen manchmal etwas rücksichtslos. Die Verschmutzung sowohl in bewohnten Gebieten als auch in der freien Natur führte bei uns immer zu Kopfschütteln.
Fortsetzung siehe Bericht Chile 7